Herz des Reiches".- Es hat übrigens früher lebhafte Beziehungen
zu dem oberrheinischen Deutschland unterhalten, und die Bildsäule
des „von Allemand" ist ein Zeugnis für die dankbare Pietät der
Bewohner. — Westwärts von Lyon liegt der große Kohlenbezirk,
und mitten in ihm St. Etienne, das Birmingham und Sheffield
Frankreichs. Hier werden Metallgeräte gearbeitet und namentlich die
Waffen geschmiedet für die französische Armee; hier ist aber auch der
Derd der Strikebewegungen und socialdemokratischen Umtriebe. —
Nördlich von Lyon zieht sich die Saone aufwärts und an den Berg-
hängen das Land Burgund mit seinem berühmten Weinwuchs. Das
Gebirge cöte d'or hat ja daher den Namen, daß aus den Reben
Gold über das Land fließt. Die Herzöge von Burgund beherrschten
dies Gebiet, und Philipp den Guten nannte man geradezu den due
des bons vins. Die burgundischen Fürsten haben eine große Nolle
in der Geschichte Frankreichs und Deutschlands gespielt; Karl der
Kühne war der reichste Fürst seiner Zeit, und da Burgunds Herrscher
zugleich die gewerbthätigen Niederlande mit ihrer Wollensabrikation
besaßen, so ist auf sie der Orden des goldenen Vließes zurückzuführen,
der noch heute als einer der vornehmsten der Christenheit anzusehen
ist. Aber noch in einer anderen Beziehung ist das burgundische Land
von mächtigem Einflüsse gewesen; es war das Land der Klöster.
Welche Fülle religiöser Anregungen ist von Cluny ausgegangen! Die
cluniacensische Richtung verinnerlichte das ganze Glaubensleben des
11. Jahrhunderts, ermöglichte demnach die Entstehung der Kreuzzüge,
begründete aber auch zugleich die Anmaßung der hierarchischen An-
sprüche und schus dem deutschen Kaiser die schwersten Gegner und
Kämpfe. Ungleich friedlicher ist der Einfluß, der von Citeaux, der
Heimatsstätte der Cifterzienfermönche, ausging. Aus den weit ver-
breiteten Tochterklöstern dieses Ordens zogen die Pioniere christlicher
Kultur, rationelleren Ackerbaus und vorgeschrittener Gartenpflege oft-
wärts unter die slavischeu Völkerschaften und gewannen z. B. dem
Deutschtum den ganzen Osten seines heutigen Gebietes, die Kern-
lande unseres jetzigen imposanten Kaisertums. Unweit von Citeaux
liegt die clara vallis, wo der heilige Bernhard als Abzweigung des
Ordens das berühmte Clairvaux gründete. Übrigens nennt man in
Frankreich gewöhnlich die Cisterzienser Bernhardiner. Um hier, da wir
gerade von den Klöstern sprechen, auch noch dreier anderer berühmten
Abteien in Frankreich zu gedenken, so liegt in der Perche La Trappe
der strengste Orden der katholischen Kirche, der seinen Bekennern nur
erlaubt den Mund zu öffnen zu dem Todesgruße memento mori,
in den Voralpen bei Grenoble die Karthaufe, das Stammkloster der
Karthäuser, das seit 1819 wieder bewohnt wird, und bei Laon Pr6-
montre, wo Norbert von Tanten die Prämonstratenser stiftete, die
sich in gleicher Weise wie die Cisterzienser um die Verbreitung der
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Extrahierte Personennamen: Etienne Philipp Philipp Karl_der
Kühne Karl Cluny Citeaux Citeaux Bernhard Norbert
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Lyon Frankreichs Lyon Burgund Burgund Frankreichs Deutschlands Burgunds Niederlande Frankreich Frankreich Perche_La Grenoble Laon
— 45 —
Die Alpenstraßen führen auf diesen Vereinigungspunkt zusammen,
und so ist in der Stadt das Element der Fremden bedeutsam ver-
treten-, will man doch auch in Mailand einen weniger italienischen
als internationalen Stadttypus erkennen. Mit seinen 400000 Ein-
wohnern ist es das Handelscentrum für die überaus fruchtbare Lom-
bardei; und namentlich spielt die Seiden-Jndustrie und -Ausfuhr in ihr
eine große Rolle. Daneben hat Mailand eine interessante Geschichte;
im Mittelalter trotzte es den deutschen Kaisern, und man rechnet
nach, daß es 48 mal belagert und 23 mal erstürmt worden ist. Ganz
im Westen der Poebene liegt Turin, die Hauptstadt jenes kernigen
Volksstammes, der Piemontesen, dem die Einigung Italiens ge-
lingen sollte.
Um das untere Pogebiet und südwärts vom Flusse in der so-
genannten Emilia liegt eine Menge bedeutender kleiner Städte, und
der ganze Landstrich ähnelt recht in seiner charakteristischen Zusammen-
setzung und früheren Geschichte den centraldeutschen Gebietsteilen,
z. B. Thüringen. Hier gediehen die kleinen Fürstentümer mit ihrer
intensiven Pflege der Kunst, und die Namen der Dynaftieen sind
unsterblich geworden. In Mantua, in dessen Nähe Vergil geboren
ist, der sich so schmerzlich nach der schilfbekränzten Flut des Mincio
sehnte, regierten die Gonzagas, und der Maler Giulio Romano war
der Liebling des Hofes. Eine kleine Abzweigung des Fürstentumes
war Guastalla, das durch Lessings Emilia Galotti bekanntlich ver-
ewigt ist. In Ferrara blühten die Estes, und Tasso weilte in dieser
kleinen Residenzstadt.
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
ist eingeweiht, noch nach Jahrhunderten klingt
sein Wort und seine That dein Enkel wieder.
An der großen Bahn, die sich weiterhin zu der bekannten Rücken-
eisenbahn entwickelt und sich bis nach Brindisi hinzieht, liegen Parma
und Modena, die lange Zeit in der neueren Geschichte als Residenzen
bekannt waren. Dann erscheint südwärts Canossa, unglückselig be-
rühmt durch die Demütigung des deutschen Kaisertums im Jahre
1077, und endlich Bologna, von den Italienern 1a grassa — die
reiche — genannt. Bologna ist seit dem frühen Mittelalter berühmt
als die Stadt der Rechtsgelehrten, und auch im Kaufmann von
Venedig muß Portia als Rechtsgelehrter aus Bologna auftreten und
den bösen Handel mit Shylock entscheiden. Die Bahn läuft in süd-
westlicher Richtung bis Ancona, der alten „Ellenbogenstadt", wo der
Apennin seinen Knick macht und wo der Dom in herrlicher Lage
hinausschaut auf das Adriameer.
Von Bologna aus zweigt sich die mittelitalische Eisenbahn ab,
die uns an die Gestade des tyrrhenischen Meeres bringen soll. Die
TM Hauptwörter (50): [T44: [Alpen See Stadt Schweiz Italien Meer Berg Insel Fuß Inn], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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— 109 —
schast mag ja auch die Unterwürfigkeit begünstigt haben. Aber
etwas anderes ist charakteristisch. Sie schließen sich gern zusammen
und übertragen einem aus ihrer Mitte die Fuhrung. Es pocht nicht
jeder aus seine Individualität, und man sieht ein, ein Volk, aus
solchem Holz geschnitzt, ist zu einer führenden Stellung, zu einer
politischen Rolle berufen und vorausbestimmt. Zudem hat es Nuß-
land nie an energischen Herrschern gefehlt. Schon das muß als ein
günstiges Omen gleich am Anfang der russischen Geschichte betrachtet
werden, daß Wladimir, „der Zar Peter des 10. Jahrhunderts," eine
Enkelin an König Heinrich I. von Frankreich vermählen konnte, so
daß alle französischen Könige das Blut seines Geschlechts in ihren
Adern tragen. Die Tüchtigkeit der Regenten verband sich dem Cha-
rakter des halbasiatischen Volkstums gemäß oft nüt einer grausamen
Wildheit; deshalb legte man dem Zar Iwan den Namen des Schreck-
lichen bei. Es geht die Sage, daß er den Baumeister der oben er-
wähnten „Ananaskirche" gefragt hätte, ob er sich getraue, ein zweites
Bauwerk derart vollenden zu können. Und auf die bejahende Ant-
wort hin ließ er ihn schnell enthaupten, damit nur er ein so Herr-
liches Gotteshaus besitze. Dann solgt um 1700 Peter der Große,
dem man eine wilde Energie gewiß nicht absprechen wird. Im
18. Jahrhundert regierten vier Frauen, Katharina I., Anna, Elisa-
beth und Katharina Ii. oder die Große, der Rußland so ungemein
viel zu verdanken hat, was uns Deutsche um so mehr freut, als
sie in Stettin geboren war und völlig als unsere Landsmännin
angesehen werden kann. Im 19. Jahrhundert war Nikolaus I.
ein mächtiger Fürst, der schon in seiner äußeren Erscheinung das
Majestätische und Jmperatorische spüren ließ. Als das Cholera-
schrecken 1831 in Petersburg alle Gemüter lähmte und ein wilder
Aufruhr die Stadt durchtobte, erscheint er ohne Begleitung unter
der wütenden Menge. Man raunt sich zu: Gossu dar (der Herr ist
da). Dann steigt er auf die Stufen einer Kirche und donnert den
Nuffen zu: na kalenn (aus die Kniee). Widerstandslos haben zehn-
tausend Menschen dem Befehl gehorcht.
Bei einem so gearteten Volke und bei solchen immer von neuem
wiederkehrenden energischen Herrschern will das westlichere Europa aus
der Angst nicht herauskommen, als ob uns alle das Slaventum der-
einst verschlingen werde. Erst neuerdings hat Nietzsche dieser Be-
sürchtung Ausdruck gegeben. Fast unheimlich ist ja das Anwachsen
der Bevölkerung. Wir haben heute dreimal soviel Russen als vor
hundert Jahren, und die Volksmasse allein des europäischen Ruß-
lands mit 106 Millionen erscheint unzählig und beängstigend. Aber
hinter, solcher Angst birgt sich doch nur das Gefühl der eigenen
schwäche; ein gesundes Westeuropa kann auch gegenüber solchen
Zahlen die Furcht bezwingen; denn es sprechen verschiedene Gründe
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Extrahierte Personennamen: Wladimir Peter Heinrich_I._von_Frankreich Heinrich_I. Iwan Peter_der_Große Katharina_I. Anna Katharina_Ii Nikolaus_I. Nikolaus_I. Nietzsche
Extrahierte Ortsnamen: Stettin Petersburg Europa Westeuropa
— Iii —
schweren Nachteil für die Entwickelung des Landes bedingt die Un-
Bildung der großen Massen, die fast zum Erschrecken große Zahl der
Analphabeten. So gewiß „Bildung Macht ist", so armselig ist der
Staat daran, dessen Bevölkerung nur körperlich mitzählen kann. Was
hat in den Perserkriegen den Athenern schließlich den Sieg verliehen?
Die Zahlenverhältnisse waren ja ungünstig genug, Herodot wenig-
stens rechnet bei Marathon aus 10 Perser 1 Athener. Aber es
waren bei den Orientalen zusammengetriebene Massen, bei den
Griechen selbständige, gebildete und sreiheitsliebende Männer, bei
denen Ehrgefühl und innerer Wert ganz anders mitsprachen. Man
rechnet in Rußland, daß nur der achte Teil der schulpflichtigen Ju-
gend Unterricht genießt und daß auch bei den bevorzugteren Klassen
sich jener Halbsirnis der Bildung eingestellt hat, unter dem sich an-
geborene Roheit versteckt. Darauf zielte jenes Wort Napoleons, das
wir oben erwähnten. Und damit hängt auch die erschreckliche Unehr-
lichkeit und Korruption des Beamtentums zusammen, ein Krebs-
schaden, dessen Heilung je länger desto mehr fast eine Undenkbarkeit zu
sein scheint. — Und sehen wir denn nicht, wie in dem ungeheuren
Reiche der Wurm im Innern nagt? — wie durch die nihilistischen Ver-
brechen alles Vertrauen erschüttert wird? Die Lebensbeschreibung
des Fürsten Krapotkin, die unlängst erschienen ist, weist auf entsetz-
liche Zustände. Ein Fürst steht an der Spitze der anarchistischen
Partei; das giebt doch wohl genug zu denken.
Schließlich bleibt Rußland als vornehmste und unbestrittenste
Aufgabe die Ausbreitung in Asien, und da hat, wie wir das schon
im ersten Teile nachwiesen, es Rußland auch erreicht, daß es zu-
sammen mit seinem europäischen Besitz den sechsten Teil der Land-
masse der Erde umfaßt. Man rechnet, dem Zaren ist die Hälfte von
Europa und ein Drittel von Asien unterthan. Und hier in Asien
stehen Rußland noch die rühmlichsten Kulturausgaben bevor. Möchte
es immer dessen eingedenk sein, was einst ein Russe gesagt hat: Wir
wollen Asien als unser eigenes Kind erziehen, es gleich der Mutter
an unseren eigenen Brüsten säugen!
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Extrahierte Personennamen: Herodot Napoleons
Extrahierte Ortsnamen: Napoleons Asien Europa Asien Asien
— 53 —
Wir haben ausführlicher über Italiens Naturschönheit gesprochen,
über jene unvergängliche Himmelsgabe, die dem Lande zu teil geworden
ist und aus die hin der Dichter sich zu dem Geständnis genötigt sieht:
Wer dich gesehen, o dem altert nimmer
Das Herz im Busen, o dem bleibt ein Schimmer-
Bon Jugendglück und reinster Lebenswonne!
wir werden aber Italien auch große politische Vorzüge zugestehen
müssen. Das Königreich Italien ist unter allen Großmächten in der
Beziehung am besten daran, daß es in der Sprache ein einheitlich
geschlossenes Staatsgebiet genannt werden kann. Deutschland, das
ja sonst nicht ungünstig dasteht, hat doch seine 3 Millionen Polen,
in Frankreichs staatlicher Grenze sind einbeschlossen Bretonen und
Italiener, aber Italien von den Alpen bis zum Ätna bietet sprachlich
und konfessionell eine vollständige Einheit dar. Allerdings ist das
gespannte Verhältnis mit dem Papste, der sich als Gefangener im
Vatikan betrachtet, ein recht häßlicher Wermutstropfen in dem sonst
ungemischten Becher erfreulicher staatlicher Zustände. Ein zweiter
Vorzug ist darin ersichtlich, daß das italische Volk eine unleugbare
Begabung für das Seewesen seit alten Zeiten an den Tag gelegt
hat. Die Italiener waren jahrhundertelang die ersten Seefahrer der
Welt und erfanden im Mittelalter die Kunst der Hochseefahrt mit
Hilfe des Kompafses. Amalfi, wo Flavio Gioja die Bussole ersand,
war im alleinigen Besitz des Levantehandels, hatte 50000 Einwohner,
und seine Handelsgesetze, die tabulae Amalfitanae, wurden allgemein
geltendes Seerecht. Diesen Ruhm der Seetüchtigkeit hat sich Italien
bis auf den heutigen Tag erhalten, es besitzt vorzügliche Häfen, wie
Brindisi, Livorno, Neapel und Messina; namentlich aber hat sich in
neuester Zeit Genua zu einem der besuchtesten und wichtigsten See-
Häsen entwickelt. La superba nennen die Italiener die alte Dogen-
stadt, und seitdem durch die Eröffnung des Gotthardtunnels der Stadt
das richtige Hinterland erschlossen ist, hat sich der Seeverkehr ins
Immense gesteigert. Hier haben auch unsere deutschen Dampferlinien
nach den östlichen Weltmeeren ihre Station und nehmen die Passagiere
aus, die auf dem kürzeren Landwege an das Seegestade geeilt sind.
Der Handel Italiens hebt sich mehr und mehr, die Aussuhr der
billigen italienischen Weine hat eine große Zukunft. Leider hat das
Land keine Steinkohlen, ist also für seine industriellen Unternehmungen
auf die Zufuhr der englischen Kohlen angewiesen; man hofft aber,
die Wasserkraft des Landes mit seinen zahlreichen Fällen in Zukunft
für elektrische Anlagen auszunutzen und so den Bedarf der Kohlen
mehr entbehrlich zu machen. In jeder Beziehung hat sich Wohlstand
und Wagemut der Italiener unter der jetzigen einheitlichen Regierung
gehoben; die Viehzucht (Rinder) sängt an, sich erfreulicher zu gestalten,
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■— 54 —
wieder hat das italienische Geld seinen vollen Kurswert erhalten, und
das junge Königreich hat sich an der abessinischen Küste sogar eine
Kolonie Eritrea erworben.
Diesen unleugbaren politischen Vorzügen des Landes stehen böse
Nachteile gegenüber. Die große Volksmasse in Italien, die ja um
ihrer Anspruchslosigkeit und Anstelligkeit willen alles Lob verdient,
ist sehr arm; in vielen sicilischen Städten ist der dreißigste Mensch
ein Bettler. Einen großen Einfluß mag die paradiesische Natur des
Landes haben, die zum dolce far niente ordentlich herausfordert;
man denke an die Lazzaroni in Neapel. Und vom Müßiggang zur
völligen Verlumpung ist es nur ein kleiner Schritts Aber die große
Armut hat noch eine andere Ursache, und das berührt sich mit ahn-
liehen socialen Zuständen der alten römischen Republik. Grund und
Boden sind meistens in Italien im Besitz großer Grundherren, die
ihr Land zur Pacht austeilen. Der Pächter hat bei den ungünstigen
Pachtbedingungen wenig Lust, seinen Ackerteil intensiv zu bearbeiten.
Die reichen Grundherren haben gleichermaßen kein rechtes Interesse,
aus den ausgedehnten Ländereien die bäuerische Aekerpflege mit ein-
dringendem Fleiß betrieben zu sehen, und so ergeben sich vielfach
ungesunde wirtschaftliche Zustände. Das schlagendste Beispiel dafür
bietet die römische Campagna. Sie war im Altertum bebaut, bis
zur Tibermündung reihten sich Villen und Bauerngehöfte, jetzt macht
sie den Eindruck einer furchtbaren Ode, deren 2000 □ km große
braune Fläche nur belebt wird durch die halbwilden Hirten, wenn
sie mit ihren lancia die großen Büffelherden in Ordnung halten.
Man nannte früher die Colonna die Könige der Campagna, andere
Fürstengeschlechter, wie die Orsini und Barberini, deren Sommersitz
die Albaner Berge sind, mögen ja auch Anteil an dieser braunen
Wüste haben; genug, der Eindruck ist da: früher Wohlstand und
Fleiß, jetzt Verödung. — Ein zweiter Grund für die Armut und
den Rückgang der landwirtschaftlichen Beschäftigung ist die grauen-
hafte Entwaldung des Landes, und unter diesem Fluch, der alle süd-
europäischen Halbinseln trifft, hat vorzugsweise Sicilien zu leiden.
Das Innere der Insel ist meist steppenartig, und doch war das
getreidereiche Sicilien zur Zeit der alten Römer die nutrix et cella
penaria plebis Romanae. Die heutige Regierung, die in vieler Be-
ziehung frühere Sünden gut zu machen fucht, widmet dem Waldbau
besondere Aufmerksamkeit. Sie weist den einzelnen Provinzen nam-
hafte Summen zur Aufforstung zu und seiert in der Nähe Roms
am ponte molle das Fest degli alberi (23aum), wo die Jugend an-
gehalten wird, Bäumchen anzupflanzen. — Ein drittes böses Cha-
rakteristikum des Landes ist die malaria, namentlich in den Küsten-
ebenen, worunter die pontinischen Sümpfe ihre traurige Berühmtheit
erlangt haben. Man versucht neuerdings durch Anpflanzung der
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— 63 —
fuhr des Landes ist ansehnlich an Korinthen, den kleinen getrockneten
Beeren des Rebstocks, und dann an Wein, worunter jetzt wieder der
Malvasier, das Gewächs Spartas, gleich wie im Mittelalter zu Ehren
kommt. Hinderlich ist auch hier der Mangel an Waldwuchs, und
die vorzugsweise gehegten Ziegen lassen auch nicht recht die Bäume
gedeihen. Eine vornehme Einnahmequelle und ein wertvolles Kapital
an Interesse und Beachtung bleibt Griechenland aber immer durch
den stets wachsenden Zuzug der Fremden, die die klassischen Er-
innerungen veranlassen, dem Lande des Perikles, Plato und Sophokles
einen mehr oder minder intensiven Besuch abzustatten. Athen ist daher
mächtig gewachsen; noch in der Türkenzeit hatte es 20000 Einwohner,
jetzt 108000. So wie Edinburgh in Leith seinen Hasen hat, so heißt
Athens Hafen Piräus. Landet man dort, so winken uns schon der
Pentelikon, der Hymettos und Lykabettos entgegen. Fast unmittelbar
an letzterem liegt der Königspalast der neugegründeten Dynastie und
unweit davon die Akropolis mit ihren ehrwürdigen Bauresten. Was
sonst die Ortschaften in und um Griechenland betrifft, so haben die
500 östlich gelegenen Inseln lange nicht mehr die Bedeutung wie im
Altertum. Es ist so, als wenn die ganze Entwickelung des Landes
die körperliche Drehung eines Menschen gemacht hätte; das Antlitz
des Landes sieht nicht mehr nach Osten, nach Asien, sondern man
kann sagen, nach Westen, wo die Schwerpunkte europäischer modernster
Civilisation liegen. Darum sind die westlich von Griechenland be-
findlichen Inseln sehr emporgekommen; man zählt ihrer ungefähr 100.
Volkswirtschaftlich und in Bezug auf Intelligenz haben sie einen be-
deutenden Vorsprung; sie gravitieren nach Italien, haben eine Volks-
dichtigkeit, die diesem benachbarten Königtum ziemlich gleichkommt,
und Korfu (Universität) und Zakynthos sind in jeder Beziehung be-
achtenswerte Städte.
Von den slavischen Landschaften der Balkanhalbinsel, die wie
Montenegro immer selbständig gewesen sind oder sich neuerdings von
der türkischen Oberhoheit losgerissen haben, scheint Bulgarien nebst
Ostrumelien wirtschaftlich am günstigsten zu stehen. Es hat in Varna
und Burgas Häfen am Schwarzen Meere, verfügt noch über nam-
hafte Waldbestände und kann erhebliche Mengen Getreide ausführen.
Auch nimmt, wie in der Türkei, der Rosenstrauch als Ackergewächs
weite Flächen ein, so daß an Rosenöl über 1 x/2 Millionen Lei
(— 1 Frank) in den Handel kommt. Die beiden andern Staaten,
das Königreich Serbien und das Fürstentum Montenegro, stehen
wirtschaftlich zurück und sind schon um ihrer Lage willen ganz von
Osterreich abhängig, das über Belgrad und Eattaro den Handels-
verkehr besorgt. Serbien ist nicht unfruchtbar, spielt aber zumeist
durch seine Schweinemast eine bedeutsamere Rolle. Die Serben um-
gab seit älterer Zeit eine ganz eigene Romantik, ihre Volkslieder
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O st c v r e i ch - H tt u am.
mnteil am Mittelmeer hat auch die vierte Großmacht, bte, wir
jetzt besprechen wollen, nämlich Osterreich-Ungarn. Der Über-
gang zu diesem Staat ist uns „noch in einer anderen Beziehung ver-
mittelt, denn Spanien, sowie Osterreich-Ungarn gehörten früher zum
großen Weltreiche der Habsburger. Zuerst regierte das Haus unum-
schränkt über die ganze Ländermasse, dann entstanden die beiden Linien
Spanien-Habsburg und Osterreich-Habsburg, die aber beide die engsten
Beziehungen miteinander unterhielten. Dieser verwandtschaftliche
Konnex mit der spanischen Linie gab den öfterreichisch-habsburgischen
Kaisern und Regenten etwas ungemein Steifes und Unnahbares, und
in dem Schillerschen Wallenstein wird uns dieser Charakter des Kaiser-
Hauses vortrefflich versinnbildlicht. Erst im 18. Jahrhundert begann
der Wiener Hof sich in gemütlichere Beziehung zu dem Volke zu
setzen, und epochemachend ist nach dieser Seite hin die Regierung der
Maria Theresia, wie sie denn in unmittelbarster Frische und Natür-
lichkeit einmal an die Brüstung ihrer Theaterloge geeilt ist und den
„Weanern" zugerufen hat, der „Leupold hat 'nen Jungen". Ihrem
Beispiel der gemütlichen Annäherung an das Volk find,, später die
Kaiser Joseph Ii. und Franz, der der erste Kaiser von Ost erreich
war, gefolgt.
Auch nach der Scheidung von der spanischen Linie hatte Oster-
reich einen umfangreichen Länderbesitz. Neapel, die Niederlande, die
Lombardei und Venetien haben zu der Gesamtmonarchie gehört, sind
aber heute alle verloren gegangen. Die staunenswerte Vergrößerung
an Land und Macht hatte den Zeitgenossen den Spruch eingegeben:
bella gerant alii, tu felix Austria nube, und damit war das fabel-
hafte Heiratsglück der Mitglieder des österreichischen Regentenhauses
charakterisiert. Diese günstige Konjunktur, durch Verheiratung der
Töchter die eigene Macht zu erhöhen, hatte schon Rudolf von Habs-
bürg ausgenutzt, von dessen Glück und wachsender Bedeutung der
zeitgenössische Bischof von Basel behauptete, die Ehren würden
so groß,„daß der liebe Gott nicht ruhig auf seinem Stuhle sitzen
könne. Österreich blieb seit Rudolfs Regierung im Besitz der Habs-
Hanncke, Eidkundl. Aufsätze. Ii. S
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Extrahierte Personennamen: Maria_Theresia Maria Theresia Joseph_Ii Franz Franz felix_Austria Rudolf_von_Habs- Rudolf Rudolfs
— 66 —
burger; da es aber nicht Kurfürstentum geworden war, so suchte Herzog
Rudolf nach einem neuen Titel und nannte sich 1365 Erzherzog.
Nachdem im 14. Jahrhundert die Kaiserwürde an andere mächtige
Fürstenfamilien in Deutschland gekommen war, kehrte sie im 15. wieder
zu dem österreichischen Geschlechte zurück, und die Habsburger haben
dann dem deutschen Kaiserthrone 20 Regenten geschenkt. Ein An-
denken an diese lange Kaiserzeit muß auch heute noch darin gefunden
werden, daß der Regent Öfterreichs unter seinen Titeln die Bezeich-
nung aufführen darf, König von Jerusalem zu sein. Bald wurde
nun auch dem habsburgischen Haufe der Spruch in den Mund ge-
legt, der durch die 5 Vokale des Alphabets angegeben wird und der
z. B. auf der Kirchenthür des Grazer Domes zu lesen ist. Die Aus-
legung ist nicht unbestritten, als bekannteste und überzeugendste muß
doch aber die gelten, daß die Buchstaben bedeuten sollen: Alles Erd-
reich ist Osterreich unterthan, oder Austriae est imperare orbi universo.
Und so hat sich dieses stolze Staatswesen entwickelt hier im Südosten
Europas, das auch heute noch den Anspruch machen kann, das zweit-
größte in unserem Erdteile zu sein.1 Der österreichische Kaiserstaat
hat aber noch einen anderen Vorzug, der als recht charakteristisch zu
betrachten ist. Es ist nämlich der einzige Staat in Europa, der in
seinen Grenzen die drei wichtigsten Bevölkerungselemente Europas
vereinigt, nämlich die Deutschen, die Romanen 2 und die Slaven.
Das österreichische Land hat seit altersher zwei Kulturaufgaben
zu erfüllen gehabt. In frühen Jahrhunderten war es gegenüber
dem von Osten her andringenden Heidentum der Hort des christlichen
Glaubens, und schon zur Zeit der Völkerwanderung lebte hier am
Kahlenbergs der heilige Severin, dessen Begegnung mit Odovakar
sozusagen ihre symbolische Bedeutung hat. Der hochgewachsene Ger-
manenfürst, der sich bücken mußte, um in die Thür der Hütte, in der
der Heilige wohnte, einzutreten, erbat sich von Severin seinen Segen.
Und der Mönch segnete den Deutschen und prophezeite ihm und
seinem Volke eine große Zukunft. Bezog sich auch Severins Weis-
sagung mehr auf die Schicksale, die Odovakar in Italien haben sollte,
so kann man doch sagen, ist der Segen des Heiligen dem Deutsch-
tum überhaupt hier im österreichischen Lande zu gute gekommen.
Gegen Avaren, Magharen und Türken hat diese tapfere Ostmark
die Fahne des Christentums hochgehalten und wie ein treuer Eckart
Deutschland vor der Überflutung durch diese Völker bewahrt. _— In
v neuerer Zeit hat Österreich allerdings nicht mehr das Christentum
gegen heidnische Gefahren zu verteidigen;,, aber das Christentum selbst
hat sich in Konfessionen gespalten, und Osterreich darf als ein Boll-
1 Nur Rußland ist an Flächenraum, größer.
2 Italiener und Rumänen sind in Österreich vertreten.
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Extrahierte Personennamen: Rudolf Rudolf Severin Severin Eckart
Deutschland
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Jerusalem Osterreich Europas Europa Europas Kahlenbergs Italien Deutsch- Osterreich
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Steinhaufen das Land bedecken und die eisige Bora über den Boden
fegt. Außer diesen physikalischen Gegensätzen werden wir in merkan-
Wischer und wirtschaftlicher Beziehung genug Unterscheidungen inner-
halb der völkerreichen Monarchie vorfinden, und wir wollen zu diesem
Zwecke die vornehmsten Landschaften nacheinander einer Besprechung
unterziehen.
Man zählt im Osterreichischen Alpen-, Sudeten-, Karpaten- und
Karstlandschaften auf. Wir wollen zunächst mit den Sudetenland-
schasten beginnen. Voran steht Böhmen, das nördlichste Kronland —
aber darum nicht das schlechteste. Es ist ein von Sw nach No ab-
gedachtes Terrassenland von archäischer Bodenformation mit jüngerem
Eruptivgestein und hat daher Kohlen, was für Österreich sehr wesent-
lich ist. Denn das salz- und eisenerzreiche Gebiet der Ostalpen steht
nun in blühendstem Austausch mit dem kohlenreichen, aber salzarmen
Böhmen. Aber auch sonst ist Böhmen ein Industrieland ersten
Ranges und hat in seinem Nordostrande eine Volksdichtigkeit von
über 150 Menschen auf 1 □km. Reichenberg blüht durch Baum-
Wollenwebereien, nach den Gebirgen zu liegen die Glashütten, und
neuerdings wird der schöne böhmische Hopfen verwertet zur Vier-
brauerei. Pilsen genießt darum Weltruf. Dagegen ist der Ruhm des
böhmischen Weines zurückgegangen. Im 16. Jahrhundert gehörte er
zu den gesuchtesten, und der Wachtmeister in dem Schillerschen Wallen-
stein schlürft mit Behagen sein Gläschen Melniker. Die böhmischen
Edelsteine sind gleichermaßen bekannt, namentlich die Granaten. Zudem
i)t das Land äußerst fruchtbar an Getreide, und wenn wir südwärts
nach Mähren vordringen, so gelangen wir an das „mährische Kanaan",
die reiche Getreideebene der Hannaken. Der natürliche Mittelpunkt
des Landes ist Prag, das böhmische Nürnberg, eine herrlich gelegene,
turmreiche Stadt mit lebhaftester Industrie. Aber das macht sie
nicht allein jedem Deutschen wert, vielmehr haben in Böhmens
Blüteperiode die Luxemburgischen Regenten hier die erste deutsche
Universität gestiftet, die kurz vor dem Auszuge der deutschen Stu-
deuten 30000 Universitätsgenossen gezählt haben soll. Der Luxem-
burger Karl Iv. ist überhaupt in jeder Beziehung Böhmens Wohl-
thäter gewesen, was ihm auch die Bezeichnung eintrug: Böhmens
Vater, des heiligen römischen Reiches Erzstiesvater. Die Karlsbrücke
in Prag und sein Standbild an derselben verewigen den Namen
dieses thätigen und erfolgreichen Regenten. — Gewiß haben die
Tschechen in Böhmen allen Grund, den Deutschen dankbar zu sein;
das Land hat überdies immer in der engsten Beziehung zu Deutsch-
laud gestanden, Böhmens Herrscher war einer der 7 Kursürsten des
Reiches und versah auch bei der Krönung sein Erzamt: „es schenkte
der Böhme des perlenden Weins". Und dennoch hat, wie ich schon
oben erwähnte, der tschechische Übermut in den letzten Jahrzehnten
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